Wolfgang T. Müller

Schatz, wir müssen reden!

Schatz, wir müssen reden!

Männer, wer von Euch hat bereits einmal diesen Satz von seiner besten aller Ehefrauen, Geliebten, Lebensgefährtinnen, oder wie man auch sonst seine sexuelle und partnerschaftliche Beziehungen nennen mag, gehört? Hand auf’s Herz, wenn dieses nicht gerade in diesem Moment in die Hose gerutscht ist: Hast Du nicht das Schlimmste befürchtet? Hast Du nicht bereits gedanklich angefangen, Deinen Notfall-Koffer mit Bargeld, Rasierapparat, Notebook, privatem Terminkalender, Zahnbürste und Unterhose zu packen? Gibt es etwas Schlimmeres für einen partnerschaftlich gesehenen bequem gewordenen „Couchpotato“ als diese vier Worte? War denn nicht alles absolut in Ordnung in eurer Beziehung? Was kann Frau denn nur von einem wollen?

Frauen wollen reden, Männer wollen flüchten

Frauen wollen reden. Sie schlucken viel, halten zumeist länger an einer Partnerschaft fest, geben diesen immer wieder eine neue Chance – und Männer bekommen diesen inneren Verzweiflungskampf oft überhaupt nicht mit. Bis dann für sie wie aus heiterem Himmel Donner und Blitz und Ungemach über sie hineinstürzen mit diesen harmlosen Worten: „Schatz, wir müssen reden“.

Und dann sitzt man da als bislang stolzes Mannsbild mit schlotternden Knien und ziemlich kleinlaut und wartet darauf, dass „die bessere Hälfte“ einem die Leviten liest. Im besten Falle kommt man nochmals mit einem blauen Auge davon, bekennt Reue und verspricht, künftig die Frau im Haushalt zu entlasten, den Mülleimer ohne Murren und Knurren hinunter zu tragen und für die eigene Pulle Bier vor dem Fernseher zu sorgen.

Und dann läuft es spätestens nach ein paar Tagen in den gewohnten Bahnen weiter. Man kann doch nicht anders. Mama ist schuld, die einen so erzogen hat. Papa ist schuld, weil er ihm  immer vorgelebt hat, wer der Herr im Hause ist und dass kein Widerspruch geduldet wird. Alles war doch so prima – oder? Alles tanzt nach seiner Pfeife und er darf sich wie Pascha fühlen.

Hat er nicht genug getan für den Erhalt der Familie? Geht er nicht tagein – tagaus hart arbeiten für das bisschen Lohn? Hat er da nicht den Feierabend verdient? Was macht da schon die Frau? Das bisschen Haushalt –macht man doch mit links – oder? Und die Kinder sind doch sowieso den ganzen Tag aus dem Haus. Kindergarten, Schule, Betreutes Lernen, draußen spielen. Da hat die Frau doch keine Arbeit mit. Soll sich halt nicht so anstellen. Hat ja gewusst was auf einen zukommt, wenn man eine Familie gründen will. Wer wollte denn heiraten und Kinder kriegen? Der Mann doch nicht. Zumindest nicht so schnell.

Dein Leben als Doku-Show

Und so sitzen sie nebeneinander Abend für Abend und ziehen sich eine Doku-Show nach der anderen rein. Fremdes Leben. Ist ja auch spannender. Da kann man dann mitreden und über die anderen herziehen. Das lenkt grandios von seinen eigenen Themen ab, und man kommt erst gar nicht auf die Idee, mal statt des Fernsehers einen großen Spiegel aufzustellen und dort hinein zu schauen.

Man hat sich selbst degradiert zu einer irgendwie gearteten Zweckgemeinschaft. Wo ist die Liebe geblieben? Wo der Respekt gegenüber dem anderen? Und noch viel dramatischer: Wo sind alle die Träume, die gemeinsamen Träume geblieben?

Noch schlimmer: Man lässt sich selbst gehen. Man wertschätzt sich selbst nicht mehr, man liebt sich nicht mehr, man vergisst sich. Männer vergessen sich sehr viel schneller als Frauen, Frauen nehmen sich länger wahr und leiden länger, im Stillen. Sinnentleerung auf unterschiedlichem Niveau. Boreout. Bis es ausbricht wie ein Vulkan mit den Worten: „Wir müssen reden“. Das wäre ein Chance – eine große Chance, endlich miteinander zu reden statt gegeneinander. Zuhören statt dagegen anbrüllen. Die Sorgen, Gedanken, Befindlichkeiten ernst nehmen statt sie zu verharmlosen.

Dabei muss man sich nicht immer einig sein. Aber den anderen Menschen achten in seinem Sosein. Sich einfach einmal auf den Stuhl des anderen setzen und ganz einfach wahrnehmen das Andersdenken und das Andersempfinden.

Wir sind rund 7 Milliarden Menschen auf diesem Planeten. 7 Milliarden Individuen; niemand gleicht dem Anderen. Wir sind einzigartig. Uns gibt es nicht ein zweites Mal. Das ist die Tatsache. Und jedes dieser Individuen hat seine eigene Geschichte, seine eigene Vergangenheit, seine Gegenwart und seine ganz individuelle Betrachtungsweise zur eigenen Zukunft. Jeder lebt seine Wirklichkeit. Und aus der Wirklichkeit wird gelebtes Leben. Und daraus entsteht die eigene Wahrheit, die so verschieden ist wie jeder einzelne Mensch einzigartig ist in diesem Universum. Diese milliardenfache, einzigartige Wahrheit zu erkennen und zu respektieren ist die Basis für eine gesunde, lebendige und respektvolle Partnerschaft und ein achtsames Miteinander mit allen anderen Wesen auf dieser Erde.

Wir sind Individuen. Das hat die göttliche Schöpfung so gewollt. Und wir sollen unsere Einzigartigkeit in allen Facetten leben und nicht ständig versuchen, uns den anderen anzugleichen, normal zu werden; von wem auch immer Normalität reklamiert wird. Wir sollen unsere vermeintlichen Schwachstellen annehmen und lieben. So wie wir unsere Stärken lieben und annehmen sollen und alles, was dazwischen ist. Dann  – nur dann, bist Du in der göttlichen Eigenliebe.

Sieben Milliarden Wahrheiten

Wenn ich anerkenne, dass jeder Mensch, dem ich begegne und der in mein Leben tritt, seine eigene Wahrheit hat und lebt, dann bin ich auch toleranter zu der Andersartigkeit meines Gegenübers. Denn die vermeintliche Andersartigkeit bei meinem Partner findet nur in meinem Kopf statt mit meinen Bewertungen, die aus meiner eigenen Wahrheit gespeist werden. Nicht mehr und nicht weniger. Ich bin genauso andersartig und geheimnisvoll aus der Sichtweise aller anderen Menschen. Wie sollen sie wissen, was ich fühle, denke, bin? Wie willst Du wissen, wie alle anderen da draußen fühlen, denken, sind? Es sind nur Annahmen, basierend auf meiner eigenen, individuellen Wahrheit. Nicht mehr und nicht weniger.

Wenn ich diese Erkenntnis in mein Leben einlasse, integriere, danach lebe, dann bin ich gelassener und brauche zu meinem eigenen Überleben nicht mehr die Anerkennung, die Liebe, das Wohlwollen im Außen. Alle diese nicht eben förderlichen Verhaltensmuster zwingen uns ja immer wieder dazu, zu beobachten, wie sich andere Menschen uns gegenüber verhalten. Wir mutmaßen, was unser Partner gerade denkt, insbesondere über uns. Dabei ist und bleibt es unsere eigene Geschichte, unser Kopfkino. Wir wollen doch alle nur geliebt werden. Das ist unsere große Intension. Auch von unserem Partner, den wir so oft gar nicht verstehen. Und deshalb greifen wir an, werden aggressiv. Wir wollen quasi die Liebe erzwingen vom anderen und lassen uns dazu eine Menge Unsinn einfallen, die den anderen verletzen und enttäuschen. Aber uns selbst enttäuschen wir am meisten. Denn so werden wir immer nur einer zerbrechlichen, egoistischen Liebe hinterher hecheln. Das, was ich da von mir aus dann an Liebe gebe und auch empfange, ist dann nicht mehr bedingungslos. Sie ist nicht mehr rein im göttlichen Sinne.

Das eigene Liebestöpfchen auffüllen

Nur die Liebe, die in einem innewohnt, die gesunde Eigenliebe, nur die nährt, macht stark und empathisch im Außen. Dieses Liebestöpfchen gehört als allererstes gefüllt. Und wenn dann ein liebendes Wesen Dir sagt, dass man dich liebt, dass du etwas gut gemacht hast, dann ist das nur das Sahnehäubchen oben auf.

Und dann, wenn Du danach strebst und lebst, dein eigenes Liebestöpfchen gefüllt zu halten, dann wirst Du auch in freudiger Erwartung der kommenden Unterhaltung entgegensehen, die eingeleitet wird mit den Worten: „ Schatz, wir müssen reden.“

Dein Wolfgang T. Müller

copyright 2014 by Wolfgang T. Müller.
Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung und Quellenangabe

 

Der Artikel ist auch erschienen in „VISIONEN“, Ausgabe 05/0214